Und schon hab ich Teil 4 für euch!
Vorangegangene Teile ebenfalls hier auf diesem Blog zu finden ;-)
Viel Spaß beim Lesen!
P18
Kategorie
Gay Romance, Drama, History, Lemon
Zusammenfassung
Max und Leon, zwei Jungs aus Virginia/USA in den 30er Jahren aus einer kleinen Stadt namens Hopewell, entdecken ihre Gefühle füreinander und sind alsbald auf der Flucht in die Großstadt.
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REBELLION
Aufbruch nach New York
~ FOUR ~
Mit roten Wangen saß Clementine auf
dem Sofa im Wohnzimmer der Jenkins Farm. Der Reverend und seine Frau
unterhielten sich angeregt mit Max‘ Eltern. Rosalie schenkte noch einmal Kaffee
nach und bot den Gästen vom selbstgebackenen Apfelkuchen an. Clementine lehnte
dankend ab, was Max noch mehr Sorgen bereitete. Sie schien sich also schon auf
ihre neue Rolle zu freuen und wollte sich für ihn von ihrer besten Seite
zeigen. Sogar die langen, blonden Haare waren heute einigermaßen schön. Was für
ein Wahnsinn!
»Greif zu, Clem!
Nur keine Scheu!«, versuchte er, sie irgendwie aus der Reserve zu locken. Ein
bisschen sarkastisch hatte es schon geklungen, fand er im Nachhinein.
Das junge Mädchen
errötete bis unter die Haarwurzeln, lehnte aber erneut mit einem Kopfschütteln
ab. Dummerweise wollte Max das nicht gelten lassen und drängte ihr einfach ein
Stück auf, indem er es persönlich mit der versilberten Kuchengabel auf einen
Teller legte und an ihren Platz brachte. Sie schenkte ihm ein säuerliches
Lächeln und begann mit der Gabel darin herumzustochern.
Er beobachtete sie
genau, während ihre Eltern sich unterhielten, Höflichkeitsfloskeln austauschten
und über die Zukunft ihrer Kinder sprachen, ohne diese persönlich dazu
anzuhören. Erst als sein Vater ihn direkt auf Clementines hübsches Aussehen
heute ansprach, erwachte er aus seiner Starre und blickte in die
erwartungsvollen Augen des jungen Mädchens.
»Mhm.« Mehr wollte
und konnte er nicht dazu sagen. Selbst wenn er sie wirklich attraktiv gefunden
hätte, wäre ihm in diesem Moment jedes Wort im Hals stecken geblieben.
»Warum zeigst du
Clementine nicht ein wenig die Farm, Junge?«
Er hätte seinen
Vater am liebsten dafür geohrfeigt. »Muss das sein?«
Wider Erwarten
räusperte sich das junge Mädchen nun doch. »Es würde mir gefallen, wenn du mich
ein wenig herumführst, Max.«
Er saß in der
Falle. Vielleicht hatte er noch kein Radar für schwule Männer, aber ganz sicher
eins für liebestolle junge Mädchen ohne Schamgefühl! Verdammt! Mit einem
Kopfnicken bedeutete er ihr, ihm nach draußen zu folgen und Clementine machte
sich zufrieden grinsend auf den Weg. Als ob er dabei wäre, sie auf einem
riesigen Grundbesitz mit feudalem Wohnhaus herumzuführen, dachte Max, innerlich
den Kopf über sie schüttelnd.
Wie hatte er sich
nur so in ihr täuschen können? Kaum waren sie im Pferdestall verschwunden, kam
sie auch schon dicht an ihn heran und säuselte ihm verliebt ins Ohr.
»Hast du schon mal
ein Mädchen geküsst?«
Max blieb verdutzt
stehen. »Natürlich!«, log er geradeheraus.
Sie spitzte prompt
ihre Lippen und wartete darauf, dass er die Initiative ergriff. Worauf hatte er
sich da nur eingelassen? Entschieden stapfte er voran zur ersten Box und sprach
mit seinem Pferd.
»Na, Storm, mein
Lieber? Alles klar bei dir?«
Abrupt öffnete
Clementine ihre Augen und marschierte resolut auf ihn zu. Jetzt war sie rot vor
Wut statt vor Verlegenheit. Ihre bisher gute Erziehung verbot ihr jedoch, ihn
darauf anzusprechen, also machte sie gute Miene zum bösen Spiel und stieg auf
sein Gespräch mit dem Hengst ein.
»Was für ein
Schöner bist du denn? Richtig majestätisch! Gehört er dir, Max?«
»Er ist mein bester
Freund. Hast du auch ein Pferd?«
»Leider nicht. Kann
ich mal auf seinen Rücken?«
»Nicht ohne
Reit-Erfahrung. Storm ist ein bisschen empfindlich mit Mädchen.« Dabei war er
der liebste Gaul auf Erden, aber Max wollte auf keinen Fall, dass dieses
schwergewichtige Mädchen sich auf seinen zarten Rücken schwang. Auch wenn er
sie leicht getragen hätte, es musste einfach nicht sein.
»Schade. Dann führ
mich weiter rum! Der Pferdestall kann ja nicht schon alles gewesen sein.«
Wenn sie sich in
den Kopf gesetzt hatte, dass er reich wäre, dann lag sie definitiv falsch.
»Äcker und Wiesen. Da gibt’s nicht mehr viel Aufregendes zu sehen.«
»Dann lass uns
spazieren gehen! Ich würde mir gerne ein bisschen die Beine vertreten nach dem
schweren Apfelkuchen vorhin!« Sie lächelte selbstgefällig und hakte sich frech
bei Max unter. »Komm schon!«
Es blieb ihm nichts
anderes übrig, also spazierte er mit ihr an seinen Lieblingsplatz zum Angeln,
einem kleinen Teich nicht allzu weit entfernt. Eine riesige Virginia-Eiche
stand an seinem Ufer und spendete den nötigen Schatten. Clementine war
offensichtlich ein wenig außer Atem und froh, endlich im Schatten des großen Baumes
Platz nehmen zu können.
»Schön ist es hier!
Kommst du mit allen Mädchen hierher?«, fragte sie mit schamlosem Grinsen im
Gesicht.
Max schluckte
erneut vor Verlegenheit. Lügen hatten bekanntlich kurze Beine, deshalb wollte
er jetzt doch bei der Wahrheit bleiben.
»Bis jetzt noch mit
keiner.« Eine zarte Röte überzog seine Wangen, denn eigentlich wäre er seit
kurzem gerne mit Leon hierhergekommen. Einer seiner heimlichen Träume.
Dass Clementine das
falsch verstehen könnte, war ihm erst gar nicht in den Sinn gekommen. »Dann bin
ich also die Erste? Ich fühle mich geschmeichelt!« Energisch klopfte sie mit
der Handfläche neben sich ins grüne Gras, auf dass er sich zu ihr setzen möge.
»Komm schon! Ich beiße nicht!«
Doch, das tust du,
wollte er sagen, verkniff es sich dann aber doch. Notgedrungen ließ er sich
neben ihr auf dem Boden nieder und pflückte einen Grashalm, um gedankenverloren
darauf herumzukauen. Am liebsten hätte er sie einfach hier sitzen lassen und
wäre zurück zum Haus gelaufen.
Noch bevor er überhaupt
wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihm ihren Arm um die Schultern geschlungen
und drückte ihm einen feuchten Schmatz auf die Wange. »Du gefällst mir wirklich
sehr!«, meinte sie danach mit breitem Grinsen.
Max wollte nicht
den Kopf drehen, er würde ohne Zweifel Gefahr laufen, dass sie ihre Lippen
sofort auf die seinen legte, und starrte weiter auf die Wasseroberfläche,
während er mit einem dicken Kloß im Hals versuchte, ihr zu antworten.
»Aha.« Es wollte
ihm einfach nichts Besseres einfallen.
»Findest du mich
hübsch?«
Wie zum Teufel
sollte er da bloß wieder rauskommen? Weiber! Kein Wunder, dass er sich noch nie
für sie interessiert hatte! Verzweifelt suchte er nach den richtigen Worten, um
nicht unhöflich zu sein oder sie gar zu verletzen. Das hätte sein Vater ihm mal
beibringen sollen, bevor er sich nach einer Braut für ihn umsah! Verdammt!
»Ich weiß nicht.«
»Wie, du weißt
nicht?!« Man konnte förmlich hören, dass sie gleich sehr böse werden würde.
»Du bist eben nicht
so ganz mein Fall, denke ich…«, murmelte Max verlegen. Vermutlich würde sie ihm
zum Dank in der nächsten Sekunde ihre kleine Handtasche über den Schädel
ziehen.
Clementine
schnappte hörbar nach Luft. »Ach was! Was ist denn dein Fall?!«
»Eine weniger
Aufdringliche vielleicht!«, rutschte es ihm nun doch noch heraus. Das war noch
das Harmloseste, das er ihr sagen konnte.
»Das erzähle ich
meinem Dad!« Eingeschnappt rappelte sie sich mühsam vom Boden hoch und verließ
mit stürmischen Schritten und wehendem Haar den Schauplatz. »Flegel!«, schrie sie
noch über die Schulter zurück.
Max rührte sich
nicht vom Fleck. Er war erleichtert und bestürzt zugleich. Sein Vater würde
nicht begeistert sein, wenn er davon erfuhr. Am liebsten wäre er gar nicht mehr
nach Hause gegangen, aber leider wartete noch Arbeit auf der Farm auf ihn. Und
Storm musste auch noch ausgeritten und gestriegelt werden. Ganz zu schweigen
vom Ausmisten des restlichen Pferdestalls.
Er saß noch lange
dort am Teich und dachte nach. Vermutlich waren Clementine und ihre Eltern
wutentbrannt nach Hause gegangen und er sollte sich die Schimpftirade seines
Vaters erst noch abholen. Immer wieder schweifte er gedanklich ab zu Leon und
wie hübsch er im Vergleich zu Clementine doch war. Hätte der ihn gefragt, ob er
ihn hübsch fände, dann hätte er allerdings auch nicht gewusst, was er sagen
sollte. Wie sprach man denn mit einem Jungen, der einem besonders gut gefiel?
Das war doch sicher alles total verpönt und wurde von niemandem akzeptiert…
»Hey, Bruderherz!
Dad lässt dir ausrichten, dass du jetzt getrost nach Hause kommen kannst! Er
hätte sich inzwischen wieder beruhigt.«
Erschrocken drehte
er sich zu Rosalie um. »Ist er sehr böse?«
»Auf einer Skala
von eins bis zehn? Ich würde sagen, so um die acht.« Ihre Augen leuchteten vor
Amüsement. »Ehrlich gesagt, als sie weg waren, hat er gemeint, sie wäre
tatsächlich eine ziemlich unangenehme Person und optisch absolut kein Hingucker.«
Max erhob sich
träge und brach in schallendes Gelächter aus. »Kein Hingucker? Das hat er
wirklich gesagt?«
»Ich schwöre bei
allem, was mir heilig ist! Mum hat sich in der Küche halb in die Hosen gemacht
vor Lachen!«
»Okay, dann komme
ich gern nach Hause. Rosie, sie ist ein Drachen! Da bleibt man gern allein, das
sag ich dir!«
»Inwiefern war sie
denn aufdringlich? Das wollte sie dem Reverend nämlich nicht genauer
erläutern.«
»Fragt mich, ob ich
sie hübsch fände! Küsst mich einfach ohne Vorwarnung auf die Wange! Rückt mir
einfach zu dicht auf den Leib! Ein Drachen eben!«
Rosalie kicherte
vergnügt. »Das war heute wohl deine Feuertaufe!«
»Mit reicht‘s erst
mal mit den Weibern! Egal, was Dad davon hält!«
»Er sucht sich
bestimmt schon eine neue Kandidatin für dich aus. In der Küche hat er Mum nach
Chrystal Connor gefragt. Die Tochter von der Connor Farm in Petersburg. Kennst
du die?«
Max dachte
fieberhaft nach. Irgendwoher kam ihm der Name bekannt vor. »Vielleicht… Ich
weiß nicht. Wenn ich diesem ganzen Scheiß entgehen will, muss ich mir wohl doch
noch eine Freundin zulegen… Verdammt!« Wie gewohnt schlug er sich, erschrocken über sein Fluchen, die Hand vor den Mund. »Verzeihung!«
»So sieht‘s aus,
mein Freund!« Wieder kicherte sie amüsiert. »Tut mir leid, aber du solltest mal
dein Gesicht sehen!«
»Vielen Dank auch!«
Beleidigt stapfte er davon.
Connor Farm? War
das nicht dieser Holzhandel? Ihm graute förmlich vor der nächsten arrangierten
Begegnung.
*
Wenn dieses wundervolle Auto Max nicht
beeindruckte, dann wusste er auch nicht! Leon setzte sich gut gelaunt hinters
Steuer und freute sich auf den Abend mit dem neuen Freund. Irgendwie würde das
Tanzen sie schon näher bringen, auch wenn man es in der Öffentlichkeit nicht
zeigen durfte. Da war er inzwischen erfinderisch genug!
Liebevoll
streichelte er über das Armaturenbrett des Twin Six. So einen schönen Wagen
hatte sonst niemand in dieser Gegend. Sie konnten sich das auch nur leisten
wegen der Erbschaft. Aber das musste ja niemand wissen. Neidische Blicke
verfolgten ihn jedes Mal, wenn er damit durch die Stadt fuhr und freundlich
durch die Scheiben grinste. Klar wusste er um sein gutes Aussehen, warum auch
nicht? Mädchenherzen erst höher schlagen zu lassen und sie dann zu enttäuschen
machte nun mal tierischen Spaß. Um den Schein zu wahren war er schließlich
gezwungen, manchmal die richtigen Spiele zu spielen. Es war ja nicht seine
Schuld, dass man Homosexualität nicht akzeptieren wollte. Da musste er eben
immer das Beste draus machen und sich nicht erwischen lassen.
In letzter Minute
hatten sie ihre Pläne geändert. Leon sollte Max mit dem Wagen auf der Farm
abholen, damit er dessen Dad noch etwas aus dem Laden vorbeibringen konnte. Das
hatte sein Vater zur Bedingung gemacht, um ihm das Auto für den Abend zu
überlassen.
Als er schließlich
demonstrativ auf der Farm vorfuhr, um sein Date abzuholen, wie sich das
gehörte, verspürte er tatsächlich einen Anflug von lächerlicher Romantik. Irgendwie
berührte Max sein Herz. Trotz allem.
Schwungvoll stieg
er aus, ein neues Messer für Mr. Jenkins‘ Sense in der Hand und ging
zielstrebig auf die Veranda zu. Er war noch nicht mal auf der ersten Stufe, da
kam auch schon ein junges Mädchen aus der Tür gestolpert und lief aufgeregt an
ihm vorbei auf den Wagen zu.
»Wow! Ist das ein
Schlitten! Kann ich mal ‘ne Runde mitfahren? Bitte!!!!«
Leon wollte ihr
gerade antworten, als Max auch schon vor ihm stand. »Entschuldige, das ist
Rosie, meine kleine Schwester. Du hattest noch nicht das Vergnügen.« Max
grinste mit hochroten Wangen.
Für einen kurzen
Moment blickten sie sich wortlos in die Augen. Es war, als wüssten sie beide,
was der andere gerade dachte.
»Bring deinem Dad
das neue Sensenmesser! Ich drehe inzwischen eine kleine Runde mit Rosie.« Ihren
Namen hatte er lauter ausgesprochen und prompt hüpfte das kleine Mädchen vor
Freude im Kreis.
Max tat wie ihm
geheißen. Sein Vater war hocherfreut über den Service und sah den jungen Mann
aus dem Laden gleich in einem ganz anderen Licht.
»Die wissen noch,
was Kundenfreundlichkeit bedeutet!«
Max nickte
verlegen. »Ich geh dann mal! Hoffentlich treffe ich nicht auf Clementine beim
Square Dance!«, rollte er mit den Augen.
Sein Vater lachte
herzlich und klopfte ihm auf die Schulter. »Du machst das schon, Junge! Nur
nicht kleinlich sein! Sie muss schon ein wenig robuster sein, wenn sie hier
mithelfen soll.«
»Immer dieselbe
alte Leier! Warum heirate ich dann nicht gleich einen Mann, Herrgott!« Kaum war
es raus, bereute er es auch schon wieder. Sein Teint wurde noch eine Nuance
dunkler, was seinem Vater Gott sei Dank in dem schummrigen Licht nicht
aufzufallen schien.
»Mach keine
albernen Witze, junger Mann! Hier geht es schließlich um deine Zukunft!«
Er nickte nur, dann
verließ er das Haus. Was für eine Scheißwelt!
Draußen stieg Rosie
gerade aus dem Twin Six und lief freudestrahlend auf ihn zu. »Das war ja so was
von aufregend! Ich hab mich gefühlt wie eine feine junge Dame! Dad muss uns
auch so einen besorgen!«
»Träum weiter,
Rosie!«, lächelte er sie bitter an und stieg dann zu Leon in den Wagen, der
bereits ungeduldig wartete.
»Wir müssen uns
beeilen, wenn wir noch etwas von dem Abend haben wollen!«, meinte Leon mit
einem Nicken in Rosies Richtung. »Sie ist süß. Wir sollten Amy und sie mal
zusammenbringen.«
Max hatte Leons
kleine Schwester schon im Laden gesehen und nickte ebenfalls. »Keine schlechte
Idee.«
Mit quietschenden
Reifen fuhr Leon vom Hof. Natürlich wollte er Max imponieren, wie jeder
unvernünftige junge Mann beim ersten Date. Es tat seine Wirkung, der junge
Farmer war beeindruckt von so viel Pferdestärken auf einmal. Es war gefährlich,
aber in gleichem Maße auch sehr betörend, mit solcher Geschwindigkeit unterwegs
zu sein.
»Ich hoffe, du hast
keine Angst, wenn ich fahre?«
Max schüttelte den
Kopf. »Du wirst schon wissen, was du tust. Ich bin jedenfalls schwer
beeindruckt.«
Leon lachte
schelmisch. Natürlich traute sich Max nicht ehrlich zu ihm zu sein, was die
Angst vor dem Fahrtwind betraf. Er selbst hätte auch gelogen, dass sich die
Balken biegen. Für den Rest der Fahrt hielt er sich an moderate
Geschwindigkeiten, schließlich wollte er ihn nicht schon vor der Tanzerei
verschrecken.
»Warst du schon mal
beim Square Dance?«
»Nein, bisher
nicht. Ich bin eigentlich nicht so wahnsinnig musikalisch«, gab Max unumwunden
zu. Er würde sich noch früh genug auf der Tanzfläche blamieren. Aber was nahm
man nicht alles in Kauf!
Leon grinste frech.
»Du schaffst das schon! Ich erkläre dir mal kurz die Regeln. Keinen Tabak
kauen, also auch nicht spucken. Deine Schuhe sind doch nicht genagelt? Das wäre
verboten, wegen der Verletzungsgefahr.«
»Nein, keine
genagelten Schuhe.«
»Gut. Greif mal ins
Handschuhfach, da ist ein Halstuch für dich drin.«
Max holte es
kurzerhand heraus und bedachte Leon mit einem strafenden Blick. »Dein Ernst?«
Es war nicht gerade schön zu nennen.
»Absolut! Es ist
frisch gewaschen, denn es darf nicht länger als zwei Wochen getragen worden
sein. Lange Bärte sind auch verboten, aber da werden wir ja kein Problem
bekommen.«
Beide grinsten
verwegen.
Dann fuhr Leon
fort. »Kein Herr darf seiner Partnerin die Hand drücken oder sie ernst
anschauen. Außerdem darf er nicht ihr Taschentuch aufheben, falls es
herunterfällt. Das Erste bedeutet, dass er sie liebt, das Zweite, dass er sie
küssen möchte. Mit Letzterem zeigt sie, dass sie mit beidem einverstanden ist.«
»Sind die Regeln
noch aus dem letzten Jahrhundert?«, lachte Max bei all den seltsamen
Informationen.
»Sozusagen. Aber im
Großen und Ganzen hält man sich noch heute dran und trägt Halstuch und
Taschentücher. Bis heute gibt es zu jeder Tanzmelodie eine feste Choreographie.
Der Caller hat nur die Funktion einer Gedächtnisstütze. Die hier bekannten
Tänze sind Quadrillen und Contratänze des vorigen Jahrhunderts. Aber es gibt
momentan auch eine Bewegung zu anderen Arten von Square Dance, Western Style Square Dancing genannt. Du
wirst schon sehen, ist alles nicht so schwer.«
Max war tatsächlich
erstaunt, wie gut Leon sich damit auszukennen schien. Wahrscheinlich hatte er
das in seiner Zeit in der größeren Stadt gelernt und er war deshalb wirklich
ein wenig neidisch auf ihn.
»Was macht denn
dieser Caller eigentlich?«
»Vortanzen. Deshalb
auch Gedächtnisstütze für die festgelegten Tanzschritte.«
»Verstehe. Dann
muss ich also einfach nur alles nachtanzen?«
»Genau. Halt dich
einfach an mich!«
Max hatte trotz
allem noch immer gehörigen Respekt vor einer persönlichen Blamage. Nicht dass
sich am Ende noch alle jungen Mädchen über ihn lustig machten. So etwas sprach
sich verdammt schnell herum.
Als sie zusammen
die Veranstaltungshalle betraten, berührte Leon ihn wie zufällig am Rücken und
schob ihn sanft durch die Tür. Es war so einfach sich dem anderen ganz
unschuldig zu nähern. Er bemerkte auch kurz, dass Max zusammenzuckte, als hätte
er ihm einen kleinen Elektroschock verpasst. Innerlich musste er schmunzeln.
»Suchen wir uns
einen Platz, von wo aus du alles sehen kannst!«, meinte er noch flüsternd dicht
an seinem Ohr.
Max durchrieselte
bei der geringsten Berührung ein Schauer nach dem anderen. Es war, als wäre er
elektrisiert und würde zehn Zentimeter über dem Boden schweben. Langsam wurde
ihm das fast unheimlich. Leon hatte solche Macht über seinen Körper, dass ihm
geradezu schwindlig zu werden drohte.
»Was möchtest du
trinken?«, unterbrach Leon seine Gedanken.
»Eine Coke. Auch
wenn ich lieber ein Pint hätte.«
Leon lachte
herzlich. »Wem sagst du das! Verdammte Regierung! Auch wenn wir sowieso zu jung
wären.«
Man konnte sich
nicht einmal mehr ein bisschen Mut ansaufen, wenn man abends ausgehen wollte.
Das war in ihrer speziellen Situation besonders schlimm. So ein Radar für
Gleichgesinnte entwickelte man im Allgemeinen nicht im absolut nüchternen
Zustand.
Zuerst einmal
schauten sie nur zu, was auf der Tanzfläche geschah. Max war tatsächlich
ziemlich angetan von der ganzen Sache. Nie zuvor hatte er so viele hübsche
Männer und Frauen auf einem Haufen gesehen. Ihm gefiel ganz besonders einer,
der verdammt muskulös war und dazu noch ein wirklich schönes Gesicht sein Eigen
nennen durfte.
»Der Caller mit den
schwarzen Locken ist echt unglaublich! Immer im Takt!«, meinte Leon plötzlich zu
ihm über den Tisch hinweg mit einem Augenzwinkern.
Sie hatten
anscheinend denselben Geschmack, was Männer betraf. Max schluckte ertappt,
nickte dann aber doch schief grinsend zurück.
»Komm, lass uns
mitmachen! Halt dich einfach an mich! Der nächste ich ganz einfach!«
Mit wackligen
Beinen reihte Max sich neben Leon in die Gruppe auf der Tanzfläche ein. Sie
wurden herzlich aufgenommen und schon ging es los. Auch wenn Max am Anfang nur
ein wenig holprig mithalten konnte, war er hellauf begeistert. Selbst der
schöne Vortänzer hatte ihm einmal aufmunternd zugelächelt. Nach weiteren zwei
Tänzen und einigen tänzerischen Blamagen seinerseits setzten sie sich
durchgeschwitzt zurück an ihren Tisch und bestellten noch einmal etwas zu trinken.
»Verdammt ist der heiß!«, flüsterte Leon ihm zu.
Was sollte er ihm
darauf schon antworten? »Findest du?« Etwas lahm, aber er war ja noch neu in
dem Geschäft.
»Na ja, nicht so heiß wie du, natürlich!«, kam prompt von Leon zurück. Dabei berührte er ihn
kurz am nackten Unterarm.
Wieder rieselte ein
Schauer durch Max‘ Körper. Sein Teint war dunkelrot und der Puls in
schwindelerregende Höhen geschnellt. Wie verlegen konnte man eigentlich sein?
Schmeicheleien war er nicht gewöhnt. Zu einer Antwort war er nicht fähig. Ihm
fehlten einfach die Worte.
Leon schien ihn
erlösen zu wollen. »Ich muss mal für kleine Jungs. Kommst du kurz mit raus?«
Max nickte. Die
Coke und das Ginger Ale drückten inzwischen gewaltig auf seine Blase. Er hoffte
nur, dass niemand seinen engen Schritt bemerken würde. Gut, dass sein weißes Baumwollhemd
weit genug nach unten ging. Er trug es lässig wie ein Cowboy über der Hose.
Sein neuer Hut stand ihm hervorragend dazu. Klar, dass er so einen sein Eigen
nannte, wo er doch oft genug bei sengender Hitze auf dem Feld herumpflügen
musste. Leon hatte seinen wohl nur wegen des Square Dances gekauft, aber das
war ihm egal, solange er damit so geil aussah wie heute Abend.
Eigentlich sollte
man nicht draußen pinkeln, trotzdem machten viele das im Rahmen einer
Zigarettenpause oder eines heimlichen Schluckes Alkohol, den sie von zu Hause
aus der Schwarzbrennerei mitgebracht hatten. Deshalb war Max jetzt nicht im
Mindesten überrascht, dass auch Leon einen kleinen Flachmann aus der
Innentasche seiner Lederweste holte.
»Auch einen
Schluck?«
»Gut, dass wir
grade noch beim Pissen waren. Was hast du denn dabei?« Neugierig blickte er auf
die halbleere Flasche in Leons Hand.
»Whisky, was denn
sonst?« Er berührte Max‘ Hand eine Sekunde zu lange, als er ihm den Alkohol
reichte.
Wieder
durchrieselte Max eine Gänsehaut von oben bis unten. Er war wie elektrisiert
und nahm einen großen Schluck, schon allein, um sich wieder in den Griff zu
kriegen, dachte er.
»Woher ist der
denn?«, fragte er interessiert.
Leon zwinkerte.
»Das bleibt mein Geheimnis. Aber er ist gut.«
»Das ist er!« Noch
einmal nahm er verstohlen an der Hausmauer um die Ecke in einer schmalen
Seitengasse einen ordentlichen Schluck des bräunlichen Gebräus.
Als er Leon die
Flasche zurückgeben wollte, zog der ihn an der Hand dicht an sich heran in den
Schatten der Hausmauer. Überrascht zog Max die Augenbrauen nach oben und bevor
er sich versah, spürte er auch schon Leons warme Lippen auf den seinen. Nackte
Angst packte ihn, fast hätte er vergessen, es zu genießen, wenn Leon ihn nicht
mit einem kurzen keine Sorge, hier kann
uns niemand sehen zwischen ihren Lippen beruhigt hätte.
Für etwa dreißig
Sekunden ließ er sich ganz auf den Kuss ein. Zum ersten Mal spürte er eine
Zunge in seinem Mund, es schmeckte herrlich und er konnte die Erregung bis in
die Zehenspitzen fühlen. Noch einmal dankte er im Geiste dem langen Hemd über
seiner Mitte.
Dann war es auch
schon wieder vorbei. Er getraute sich nicht, Leon danach direkt in die Augen zu
blicken. Als wäre nichts gewesen, gingen sie, nach einem weiteren Schluck aus
dem kleinen Flachmann, zusammen zurück in das Gebäude und setzten sich an ihren
Tisch, um auf den nächsten Tanz zu warten.
Max‘ Gedanken
rasten.
Leon zitterte
merklich an den Händen.
Irgendwie schien
sich alles um sie beide zu drehen. Weder Max noch Leon hatten mit solch einem
Effekt gerechnet. Der unerfahrene Farmerjunge war nicht weiter überrascht über
die einschneidende Wirkung ihres Kusses, Leon jedoch hatte merklich Mühe, sich
wieder auf den Tanz zu konzentrieren. Nie zuvor hatte ihn ein Kuss so dermaßen
aufgewühlt. Vielleicht weil seine Partner bisher immer erfahrener waren, als er
selbst? Er konnte sich keinen Reim darauf machen, er wusste lediglich, dass ihm
regelrecht schwindlig von dem Kuss geworden war und er noch jetzt wohlige
Schmerzen im Brustbereich empfand. Als würde ihm sein Herz etwas mitteilen
wollen. Über andere Regionen wollte er gar nicht erst nachdenken, solange sein
Körper ihm noch immer eindeutige Signale erteilte. Am liebsten hätte er Max
gleich draußen auf dem Feld hart genommen. Allein dieser Gedanke schien ihm
gehörigen Respekt einzuflößen. Das hier war etwas Großes.
»Tanzen wir noch
mal?«, fragte Max unschuldig über den Tisch hinweg.
Er wollte sich
bewegen, das unbändige körperliche Verlangen irgendwie zu zügeln versuchen. An
etwas anderes denken, als an harten schnellen Sex und die erlösende
Befriedigung danach. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, alles in
ihm schien zu vibrieren.
»Leon!?«, rief er
ihn zurück in die Wirklichkeit, als dieser ihm nicht auf seine Frage
antwortete.
»Hm?« Etwas
verwirrt blickte er Max schließlich doch noch in die glänzenden Augen. Er
wusste genau, was sich darin spiegelte, sie sprachen definitiv dieselbe
Sprache. »Was hast du gefragt?«
»Noch mal tanzen?«
»Klar.«
Plötzlich schien es
Max, als wäre er der Vernünftigere von ihnen. Sie begaben sich erneut auf die
Tanzfläche, fügten sich ein und vergaßen bei all der Zählerei und der
Konzentration auf die richtige Reihenfolge der Schritte die vorangegangene
Szene draußen im Schatten der Mauer. Nach weiteren drei Tänzen beschlossen sie
schwitzend, dass es ihnen für heute Abend reichte und bezahlten die Zeche.
Atemlos stiegen sie in den Twin Six, Leon startete den Wagen und schon brausten
sie davon Richtung Hopewell.
Schweigen breitete
sich aus. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, versuchte Leon, das Eis zu
brechen. Er wollte nicht länger das verschreckte Kaninchen sein, sondern wieder
zu seiner vormals coolen Form zurückfinden.
»Wie hat dir der
Abend gefallen?«, fragte er deshalb ohne jede Wertung mit Blick auf die Straße
vor sich.
Max zögerte. Wie viel
Ehrlichkeit erwartete sein neuer Freund von ihm? »Leider kein Mädchen erobert. Was sagen wir bloß unseren Vätern?«
Sein trockener
Humor ließ Leons Nervosität endgültig von ihm abfallen und er lachte grölend
drauflos. Da konnte Max nicht mehr länger an sich halten und lachte herzhaft
mit. Sie konnten sich kaum beruhigen, so witzig und entspannt war es plötzlich
wieder zwischen ihnen. Max wischte sich schließlich mit dem Hemdsärmel kichernd
die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
»Sollen wir uns
eine Geschichte für die Familie ausdenken?«, wollte Leon von ihm wissen, als
sie sich endlich wieder etwas eingekriegt hatten.
»Sagen wir einfach,
die Mädchen waren hässlich und affektiert und die paar, die wir ins Auge hätten
fassen wollen, wären bereits vergeben gewesen.«
»Du hast Recht, je
weniger, desto besser. Einfach und klar.«
Sie fuhren gerade
aus Hopewell heraus über die ungeteerte Landstraße in Richtung Max‘ Farm, als
Leon noch einmal anhielt, weil die Blase ihn drückte. »Ich muss mal.«
Max tat es ihm
gleich, die frische Nachtluft tat gut nach all der Aufregung. Leon steckte sich
noch eine Zigarette an und kam um den Wagen herum, als Max gerade den
Hosenschlitz schließen wollte.
»Warum hast du es
so eilig?«, meinte er süffisant in der Dunkelheit. Nur die Scheinwerfer
spendeten ein wenig Licht.
Max schluckte, sein
Mund wurde trocken. Leon kam ganz dicht an ihn heran, drückte ihn mit seinem
ganzen Körper gegen die Karosserie und betrachtete ihn auffordernd aus nächster
Nähe. Ihre Blicke verfingen sich ineinander, auch wenn sie kaum etwas sehen
konnten im Dunkel der Nacht. Plötzlich schnippte Leon seinen Stummel achtlos
ins Gestrüpp und griff dem verdutzten Max fordernd in den Schritt.
Überrascht keuchte
Max leise auf, bekam Schnappatmung und rannte schließlich davon, so schnell er
konnte.
Mit einem breiten
Grinsen auf den Lippen blickte Leon ihm im Licht der Scheinwerfer noch
hinterher, bis ihn die Dunkelheit endgültig verschluckte.